Der folgende Redebeitrag wurde am 15.8.2015 auf der Freiheit-statt-Angst-Demonstration in Münster gehalten:
Datensch(m)utz im Nirgendwo – Polizeidatenbanken
„Ansteckungsgefahr“, „Ausbrecher“, „bewaffnet“, „Betäubungsmittelkonsument“, „Explosivstoffgefahr“, „geisteskrank“, „gewalttätig“, „Intensivtäter“, „Land- und Stadtstreicher“, „Konsument harter Drogen“, „Rezeptfälscher“, „Rocker“, „Schwellentäter“, „Serienbrandstifter“, „Straftäter linksmotiviert“, „Straftäter politisch motivierte Ausländerkriminalität“.
Wir zitieren hier leider nicht Loriot, sondern die deutsche Polizei. Bei den Begriffen handelt sich um sogenannte „personengebundene Hinweise“ der Polizeien auf Bundes- und Länderebene. Diese Hinweise werden bei jeder personenbezogenen Abfrage in den polizeilichen Informationssystemen – also auch bei jeder Personalienkontrolle – als sogenannte „Warnhinweise“ ausgegeben.
Offiziell mit der Eigensicherung der Einsatzkräfte begründet, zeigt sich spätestens auf den zweiten Blick, dass die personengebundenen Hinweise vor allem dazu dienen, Menschen möglichst pauschal zu kategorisieren. Gesellschaftliche Vorurteile und polizeiliche Ressentiments werden reproduziert, die Betroffenen stigmatisiert. Die Folgen sind schwer absehbar, aber spürbar: Wer das Label „Straftäter linksmotiviert“ trägt, bekommt schneller Platzverweise und landet früher im Gewahrsam als vermeintlich unbescholtene Personen.
Insgesamt sind aktuell beim Bundeskriminalamt 1,5 Millionen personengebundener Hinweise in allen Kategorien gespeichert.
Dahinter steht ein noch weitaus größeres System polizeilicher Datenbanken. In seiner Funktion als „Zentralstelle im polizeilichen Informationsverbund“ hortet das BKA Daten aller Länderpolizeien und stellt sie bundesweit zur Verfügung. Darunter fallen biometrische und erkennungsdienstliche Daten, Ermittlungsakten und eigene Fallanalysen. Die Datensammlung ist eindeutig politisch motiviert: Die Bundesregierung listet derzeit 18 Datenbanken aus dem Bereich „Staatsschutz“ auf, darunter die mit Abstand größte BKA-Datenbank „Innere Sicherheit“, welche alleine gut 95 000 Personen beinhaltet. Eine Speicherung in diesen Datenbanken ist für die Betroffenen ein ähnliches Stigma wie ein personenbezogener Hinweis – oftmals wird politischer Aktivismus auch gleich mit beidem ausgezeichnet. Einträge in vermeintlich spezifischeren Datenbanken wie „Gewalttäter links“ führen zu mehr Repressalien wie „Gefährderansprachen“ oder Meldeauflagen. Diese Datenbanken sind ein taktisches Instrument der Polizeien. Eine Praxis, welche die Polizei teilweise ganz unverhohlen zugibt. So teilte das Landeskriminalamt Hessen einer Aktivistin mit:
„Sie sind bereits mehrfach als Umwelt- und Antiatomaktivistin bundesweit in Erscheinung getreten. Dabei liegt es im polizeilichen Interesse an einer effektiven Gefahrenabwehr, einen umfassenden und lückenlosen Überblick über Ihre kriminellen Aktivitäten zu behalten.“
Der Vollständigkeit halber möchten wir an dieser Stelle ergänzen, dass die Betroffene nicht vorbestraft ist.
Versuchen Betroffene, Auskunft über die zu ihnen gespeicherten Daten zu erhalten oder deren Löschung zu veranlassen, werden sie mit einer ganzen Reihe von Hürden konfrontiert: Verschleppte Antworten, wechselnde Zuständigkeiten, unklare Speicherfristen, nicht bekannte weitergeleitete Freisprüche, verweigerte Auskünfte aufgrund polizeitaktischer Erwägungen, unterschiedliche Rechtsgrundlagen in den Bundesländern – die Kreativität der Datenschutzstellen der Polizeien scheint mitunter unbegrenzt zu sein. Und über allem schwebt der Grundsatz der Gefahrenabwehr, was nichts anderes bedeutet als: Alle sind potentiell verdächtig. Wir speichern solange, wie wir das für richtig halten.
Dabei wäre eine effektive Kontrolle der polizeilichen Datenspeicherung bitter nötig. Der damalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar führte 2012 eine Überprüfung der BKA-Datenbank „PMK links Z“, einer Staatsschutzdatei zur Beobachtung linker Aktivist*innen, durch. Das Ergebnis: Die Datenbank schrumpfte um 90% von anfangs knapp 4000 auf nun ca. 300 Personen. Der Prüfbericht stellt dem BKA allgemein ein vernichtendes Zeugnis aus, hier zwei Auszüge:
1. „Das BKA räumte bereits während des Prüfgespräches ein, dass alle in dieser Betroffenenkategorie während des Kontrollbesuchs betrachteten Personendatensätze nicht hätten gespeichert werden dürfen.“
2. „Wie meine Mitarbeiter festgestellt haben, waren Personen teilweise mit Organisationen oder Ereignissen verknüpft, ohne dass weitere konkrete Informationen zu begangenen oder bevorstehenden Straftaten oder Gefahrenlagen vorlagen.“
Wer nach diesem datenschutzrechtlichen Desaster handfeste Konsequenzen erwartet hatte, wurde enttäuscht. Im Juli 2015 teilte die Bundesregierung mit, das BKA hätte in Folge der Prüfung seine Mitarbeiter*innen, insbesondere in der Abteilung polizeilicher Staatsschutz „sensibilisiert und in die Lage versetzt, zukünftig eine datenschutzrechtlich konforme Speicherung zu gewährleisten“. Anders gesagt: Das BKA operiert weiter nach eigenem Gutdünken im rechtsfreien Raum.
Diese Praxis lässt sich auf allen Ebenen der polizeilichen Hierarchie beobachten. Auch in Münster. Hier klagt aktuell eine Aktivistin gegen das Polizeipräsidium. Dieses hatte ihr nach einer Protestaktion trotz eingestelltem Ermittlungsverfahren den personenbezogenen Hinweis „Straftäter linksmotiviert“ zugewiesen. Nach längerem Schriftwechsel erhielt sie vom Datenschutzbeauftragten der Polizei Münster schließlich die Bestätigung, man habe „sämtliche zu Ihrer Person gespeicherten Daten“ gelöscht. Eine Anfrage an das BKA ergab jedoch, dass „sämtliche Daten“ aus Sicht der Polizei Münster den personenbezogenen Hinweis nicht beinhalteten. Dieser sei ja mittlerweile in der Hand des BKA und man selbst somit nicht zuständig. Das BKA wiederum verwies auf die Polizei Münster als Datenbesitzer und erklärte sich ebenfalls für nicht zuständig. Die einzige Chance, dieses Behördenmikado aufzulösen, war der Gang vor das Verwaltungsgericht. Dazu braucht es jedoch einen langen Atem und entsprechende Ressourcen. Wer dies nicht hat, verliert faktisch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Die Praxis der polizeilichen Datensammlung ist stigmatisierend, diskriminierend und entzieht sich jeder demokratischen Kontrolle. Gleiches gilt in noch viel drastischerem Maße für die Schnüffelei der Geheimdienste. Die Konsequenz aus der aktuellen Misere kann deshalb nur sein, diesem Treiben sofort ein Ende zu setzen.
Polizeidatenbanken löschen, Geheimdienste auflösen!
Freiheit statt Angst!