LKA kriegt kalte Füße!
Ich stellte im vergangenen Jahr ein Auskunftsersuchen beim Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen und beim Bundeskriminalamt (BKA). Hierfür ist die Homepage datenschmutz.de mit dem Auskunftsgenerator sehr hilfreich. Mit einem Auskunftsersuchen hat jeder/jede das Recht zu erfahren, was über ihn/sie gespeichert wird. Ich stelle regelmäßig solche Anträge. Doch die Auskunft wurde mir dieses mal nicht vollständig erteilt, mit Verweis auf § 16 Abs. 4 NDSG. Auf meine Klage hin, gab das LKA nach und teilte mir mit, ich werde durch die Behörde seit 2012 als „relevante Person“ Links geführt (Schreiben als pdf). Mit dem Begriff konnte ich wenig anfangen, genauso mit den Angaben vom BKA zum Eintrag (Schreiben als pdf). Dort ging es um ein „Personagramm“, eine „AG Personenpotential“ und eine „Personenliste“.
Ich stellte Nachfragen und Löschanträge. Die Behörden schoben ein ganzes Jahr lang die Verantwortung hin und her. Das BKA entschuldigte sein langes Schweigen mit einem „Büroversehen“ und verwies auf das LKA, das wiederum auf die örtlich zuständige Polizeistelle, die Lüneburger Polizei verwies (LKA Schreiben als pdf).
Und weil ich in der Sache nicht weiter kam und im Netz zu solch einem Eintrag als „relevante Person“ recht wenig zu finden war – in Zeitungsartikel geht es vor allem um islamistischen Rückkehrer aus Syrien, die von den Behörden als Gefährder oder relevante Person eingestuft werden – wendete ich mich an Hubertus Zdebel, einen Bundestagsabgeordneten von der Partei DIE LINKE. Er stellte mit seinen Kolleg*innen eine kleine Anfrage, die vergangene Woche durch die Bundesregierung beantwortet wurde (Antwort als pdf).
Ich kann nicht sagen, was mir genau zum Erfolg verholfen hat; ob es meine kritischen Nachfragen, meine Klageandrohung oder die Öffentlichkeitsarbeit war? Die Polizei hat jedenfalls kalte Füße gekriegt und den Eintrag gelöscht – mit der lapidaren Bemerkung, „die Voraussetzungen für eine Einstufung als relevante Person [seien] nicht mehr gegeben“.
Antwort auf eine kleine Anfrage bestätigt Willkür auf ganzer Linie
Aus einer früheren Anfrage war bereits bekannt, dass eine Person als relevant anzusehen ist, wenn
* sie innerhalb des extremistischen/terroristischen Spektrums die Rolle einer Führungsperson, eines Unterstützers/Logistikers oder eines Akteurs ein nimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO) fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt, oder
* es sich um eine Kontakt- oder Begleitperson eines Gefährders, eines Beschuldigten oder eines Verdächtigen einer politisch motivierten Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere einer solchen im Sinne des § 100a StPO, handelt. Der Begriff „Tatsachen“ ist im Sinne von gesicherten, konkreten objektiven Erkenntnissen und somit über den einfachen „Verdacht“ hinausgehend zu sehen.
Keine dieser Angaben trafen auf meinen Fall zu. Das LKA Niedersachsen, das für den Eintrag verantwortlich war, hatte zur Begründung des Eintrages nur wenige bereits vor mehreren Jahren wegen Geringfügigkeit eingestellten Verfahren in seiner Datenbank – auf meiner Klage vor dem Verwaltungsgericht hin musste es sogar welche löschen, so dass genau 4 Verfahren übrig blieben (Auszug Schreiben des LKA an das VG als jpg). Und es ging hier niemals um Strafvorwürfe im Sinne von § 100a StPO. Es ging um demonstratives Geschehen und demonstrationstypische Vorwürfe wie die Nicht-Anmeldung einer Versammlung oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamter durch „sich schwer machen“, etc.
Mir kam es so vor, als erfolge die Einstufung von Personen als „Gefährder“ oder „Relevante Person“ durch die Polizei eher nach Gutdünken, wenn die Gesinnung der betroffenen Personen der Polizei einfach nicht genehm ist. Die neue Antwort der Bundesregierung bestätigt diese Annahme.
„Diese Einstufung beruht auf polizeilichen Erkenntnissen und setzt nicht zwingend eine Urteilsfindung im Rahmen eines gerichtlichen Hauptverfahrens voraus.“
So die Bundesregierung. Zum 7.11.2016 waren bundesweit 651 Personen als relevante Personen eingestuft. Davon entfallen 125 auf PMK -links-, 108 auf PMK -rechts-, 64 auf PMAK und 354 auf den religiös motivierten internationalen Terrorismus. „Polizeiliche Erkenntnisse“ ist ein äußerst nebulöser schwammiger Begriff, es lässt der Willkür Tür und Tor offen. Genauso nebulös ist was die Einstufung als „relevante Person“ oder „Gefährder“ für die Betroffenen zur Folge hat. Hier wird lediglich auf die „einschlägigen Polizeigesetze der Länder“ verwiesen. In der Antwort auf eine frühere Anfrage hieß es bereits
„[…], sind für Personen, die als „Gefährder“ oder „relevante Personen“ eingestuft wurden, jeweils Maßnahmen nach der StPO und insbesondere nach den Polizeigesetzen der Länder zu prüfen.“
Dies interpretiere ich als Freischein für Überwachung und willkürliche Polizeimaßnahmen – zumal niemanden die Polizei kontrolliert und Betroffenen über mögliche Rechtsmittel gegen die Einstufung nicht belehrt werden – ich musste ja schon Klage einreichen, um überhaupt zu erfahren, was die Polizei so über mich speichert.
Die Bundesregierung selbst schiebt die Verantwortung auf die Bundesländer – obwohl der Eintrag zwar durch das LKA vorgenommen wird, dieser dann aber durch das BKA übernommen wird – hier wäre also eine Kontrolle auf Bundesebene möglich und angezeigt.
Gerne würde ich die Fragen, wo die Bundesregierung auf die Zuständigkeit der Bundesländer verwiesen hat, im niedersächsischen Landtag einbringen. Im Landtag sitzt jedoch keine Oppositionspartei, die sich auch nur ein kleines wenig um Bürgerrechte schert…
Politisches Engagement gleich Terrorismus
Aus den Antworten der Bundesregierung ist zu entnehmen, dass „Extremismus“ und „Terrorismus“ auf die gleiche Ebene gestellt werden. Ich sehe politisches Engagement nicht als „Extremismus“ an. Der Staat stuft aber alles was sich mit seiner Politik kritisch auseinandersetzt und insbesondere Menschen die ihren Protest durch zivilem Ungehorsam zum Ausdruck bringen, als „extremistisch“ ein. Und auf EU-Ebene will man das gern als Terrorismus sehen.
In der Praxis wird ebenfalls mit den Begriffen „Extremismus“ und „Terrorismus“ um sich geworfen, wenn es um die Bewertung von politischem Engagement geht. Das BKA beantwortete meine Fragen wie folgt (Schreiben als pdf):
„Bei der AG Personenpotenzial handelt es sich um eine Arbeitsgruppe des gemeinsamen Extremismus- und Terrorabwehrzentrums, Phänomenbereich Linksextremismus/-terrorismus.“
„Personagramme sind eine bildliche Erkenntnisdarstellung zu einer bestimmten Person und werden auf Basis des Gefahrenabwehrrechts durch die Landespolizeien erstellt. Die Erstellung erfolgt auf einem in den deutschen Polizeifachgremien (AG Kripo) abgestimmten Standardverfahren mit anschließender Übermittlung an das Bundeskriminalamt.“
Freiheit stirbt mit Sicherheit.
Nicht mehr „relevant“
Das LKA hat möglicherweise gespürt, dass meinem Löschantrag und meinen kritischen Nachfragen eine Klage folgen würde.Das LKA wollte sich nicht erklären und bevorzugte eine LÖSCHUNG des Eintrages. Es erklärte, die örtlich zuständige Polizei (die Polizei Lüneburg) habe festgestellt, dass
„die Voraussetzungen für eine Einstufung als relevante Person nicht mehr gegeben sind“(Schreiben als PDF).
Weshalb die Voraussetzungen in der Vergangenheit – immerhin wurde der Eintrag 2012 vorgenommen und erst 4 Jahre später gelöscht – gegeben gewesen sein sollen, werde ich nie erfahren. Ich wüsste nicht, was sich verändert hat. Also weder weiß ich was den Eintrag begründet haben kann, noch weshalb es nun anders ist. Die Polizei hat kalte Füße bekommen und es scheint so zu sein, dass sie es nicht auf eine Gerichtsverhandlung ankommen lassen wollte – ihr war also klar, dass sie rechtswidrig handelte.
Ich hätte das Verfahren gerne geführt. Das wäre eine gute Gelegenheit gewesen, die Praxis der Polizei ins Licht der Öffentlichkeit zu bringen.
Der Fall zeigt aber: Es ist wichtig sich zu wehren, sonst richtet die Datenkrake Schäden unkontrolliert und ungebremst an! Mein Erfahrungsbericht kann anderen Betroffenen in ihrem Kampf gegen die Willkür der polizeilichen Datenbanken vielleicht hilfreich sein.